Wie wird man eigentlich „Pflegefamilie“?

Haben Sie und Ihre Familie Interesse, sich auf ein lebensveränderndes Abenteuer einzulassen? Würden Sie gerne einem Kind eine neue familiäre Perspektive bieten? Dann sind schon wichtige Schritte getan. Dabei kommt es nicht darauf an, dass Sie verheiratet sind und ein bestimmtes Alter haben. Alle Lebensformen, die in unserer Gesellschaft anzutreffen sind, können geeignete Lebensorte für Pflegekinder bieten. Pflegeeltern können alleinstehend sein, unverheiratet, als Patchwork-Familie zusammen leben, oder in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung.

In Rostock gehört zum Anerkennungsverfahren ein Vorbereitungskurs mit zehn Veranstaltungen und einem Wochenendseminar. In den Kurseinheiten berichten bereits aktive Pflegeeltern aus ihrem Alltag. Es werden rechtliches Grundwissen und ein „Basispaket“ an theoretischem Wissen vermittelt, was ein Pflegekind alles mitbringen kann, sowie entsprechende Handlungsempfehlungen gegeben. Diese Mischung aus Fachwissen und Austausch soll dazu beitragen, dass die Interessenten ein möglichst umfassendes Bild von der Aufgaben- und Verantwortungsvielfalt erhalten, um im Anschluss für sich eine gute Entscheidung treffen zu können.

Nach den Kursveranstaltungen folgen die Einzelgespräche mit den Pflegeelternbewerbern gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen des „Das Kind im Blick“ Pflege-Familien-Zentrums. Es geht darum, die Motivation, sowie die individuellen Fähigkeiten und Stärken kennenzulernen. Wir nehmen uns die Zeit, die dafür notwendig ist.

Die Überprüfung weiterer wichtiger Kriterien, wie die finanziellen Verhältnisse und die Größe des Wohnraumes sowie die Aufforderung zur Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses erfolgt durch das Amt für Jugend, Soziales und Asyl.

Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, erfolgt eine Einschätzung des „Das Kind im Blick“ Pflege-Familien-Zentrums sowie eine Entscheidung des Amtes für Jugend, Soziales und Asyl, ob die jeweiligen Bewerber als Pflegeeltern anerkannt werden.

Welche Pflegeformen gibt es?

In Rostock wird zur Zeit zwischen drei verschiedenen Pflegeformen unterschieden.

Die Bereitschaftspflege ist ein Angebot zur Krisenintervention zum Schutz des Kindes. Sie ist innerhalb der Inobhutnahme (§42 SGB VIII) eine Möglichkeit der familienorientierten Betreuung, in der Kinder schnell und kurzfristig aufgenommen werden. Die Eltern dieser Kinder können aus unterschiedlichen Gründen ihrem Erziehungsauftrag zu diesem Zeitpunkt nicht nachkommen. Die Bereitschaftspflege ist eine Form der befristeten Unterbringung und Betreuung von Kindern vom 0. bis zum 6. Lebensjahr in dafür qualifizierten Bereitschafts-Pflegefamilien. Familien, die sich für dieses Angebot zur Verfügung stellen, zeichnen sich durch hohe Flexibilität und die Bereitschaft aus, ohne genaue Hintergrundinformationen ein Kind kurzfristig in einer Krisensituation in die Familie aufzunehmen. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, dass sie eng mit den Eltern im Kontakt stehen.

Die Kurzzeitpflege ist in der Regel eine geplante und von Seiten der Eltern befürwortete Pflegeform. Sie ist befristet und ermöglicht eine zeitweise Unterbringung der Kinder aufgrund von geplanten Kur- und Krankenhausaufenthalten, psychischen Erschöpfungszuständen und Überlastungen der Eltern bzw. des alleinerziehenden Elternteils. Auch in Vertretungssituationen werden Kurzzeitpflegeeltern beansprucht, beispielsweise als Urlaubsvertretung einer Bereitschaftspflegefamilie. Diese Pflegeform eignet sich auch bei der Vorbereitung auf eine Rückführung in den Haushalt der leiblichen Eltern.

Maria (1,5) konnte bisher nicht sicher und geborgen aufwachsen. Ihre Mutter sucht nach Möglichkeiten, mit ihren schwierigen Lebenserfahrungen zurechtzukommen. Sie flüchtet sich immer wieder in Drogen und Alkohol. Gemeinsam mit ihr wird überlegt, was sie braucht, damit sie für ihre kleine Tochter da sein kann. Sie entschließt sich, in Therapie zu gehen und beantragt eine Familienhilfe. Maria wird in einer Pflegefamilie betreut. Alle wissen, dass sie für einen begrenzten Zeitraum hier leben wird. Für die Mutter wird ein engmaschiges Hilfekonstrukt entwickelt. Auch ihre Schwester und ihr Schwager unterstützen sie. Sie bleibt in häufigem Kontakt mit ihrer Tochter. Die Pflegeeltern beziehen die Mutter in verschiedene Alltagstätigkeiten, wie Arztbesuche und gemeinsame Essenszeiten ein.

Die befristete Vollzeitpflege ist die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie für einen bestimmten Zeitraum, während mit den Eltern an der Rückführung gearbeitet wird. Pflegefamilien, die sich die Aufnahme eines Kindes für einen befristeten Zeitraum, z.B. für ein Jahr, vorstellen können, werden in dieser Zeit aktiv in den Rückführungsprozess einbezogen.

Die unbefristete Vollzeitpflege unterscheidet sich maßgeblich von den anderen Pflegeformen, weil der Pflegezeitraum deutlich größer ist. Viele Kinder bleiben bis zu Beginn der Volljährigkeit als Pflegekind in der Familie. In regelmäßigen Abständen finden Gespräche mit dem Amt für Jugend, Soziales und Asyl, den Eltern und anderen Bezugspersonen wie LehrerInnen oder TherapeutInnen statt, um über weitere Entwicklungsschritte zu beraten. Durch den unbefristeten Pflegezeitraum hat das Kind die Möglichkeit, sich tatsächlich in eine neue Familie einzuleben, verlässliche Beziehungen zu knüpfen und Bindungen einzugehen. Das verändert die Perspektive des Kindes, aber auch die der Pflegefamilie.

Wie erfolgt die Auswahl der Pflegefamilien?

Von der Anerkennung als Pflegeeltern bis zur Vermittlung eines Kindes kann eine gewisse Zeit vergehen. Nicht jede Familie ist die richtige für ein bestimmtes Kind und nicht jedes Kind passt in jede Familie. Die Vermittlungsprozesse sind immer wieder verschieden, weil die Bedarfslagen und die Lebensgeschichten individuell sind. In der Regel besteht zwischen den leiblichen Eltern und dem Amt für Jugend, Soziales und Asyl bereits eine Zusammenarbeit. Es kann sein, dass Eltern im Vorfeld Hilfen zur Erziehung beantragt haben und deutlich wird, dass eine Pflegfamilie die geeignetere Hilfe ist. Dann stellen die Eltern den Antrag auf diese Hilfeform. Häufig geschieht das aber auch über das Familiengericht.

Allgemein gilt, dass sich die Mitarbeiter*innen des „Das Kind im Blick“ Pflege-Familien-Zentrums zunächst mit den Eltern ins Gespräch begeben, um sie zu beraten. Es ist für sie eine existenzielle Not, ihre Kinder nicht mehr bei sich zu haben, sie eventuell für immer zu verlieren. Die ersten Kontakte dienen daher der Anerkennung dieser Not und der Trauer. Wenn die Eltern sich verstanden fühlen, können sie auch wieder auf die anstehenden Veränderungen blicken und nehmen sich als beteiligt wahr. Mit ihnen wird gemeinsam darüber nachgedacht, welche Pflegefamilie zu ihrem Kind passen würde. Die Pflegeelternbewerber erhalten alle Informationen, die zum Kind bekannt sind. In einem nächsten Schritt lernen sich die Eltern und die potentielle Pflegefamilie kennen. Diese Runden sind meist sehr emotional berührend. Beide Seiten stellen ihre Familie vor. Es werden Fotos ausgetauscht, es wird erzählt und manchmal wird geweint. Es ist wichtig, dass die Pflegeeltern offen über ihre Motivation sprechen können und die Eltern über ihre Möglichkeiten und Grenzen ihrer Hilfe in Kenntnis setzen.

Auch die Ideen der Eltern und ihre Vorstellungen, wie sie weiter für das Kind da sein wollen, müssen angesprochen werden. Erst, wenn alle ein gutes Gefühl entwickeln konnten, finden die Kontakte zwischen Pflegeeltern und Kind statt – es beginnt der Anbahnungsprozess. Wie lange dieser dauert, bestimmt einzig und allein das Kind. Egal, ob es um eine Kurzzeitpflege für ein halbes Jahr oder um eine langfristig angelegte Pflegschaft geht, eine Anbahnung findet statt. Je nach Alter werden die Kinder in diesem Prozess beteiligt. Ein sechsjähriger Junge, der seit zwei Jahren in einer Wohngruppe lebt und nun in einer Pflegefamilie seinen neuen Lebensort haben soll, muss sich natürlich immer wieder mit seinen Bezugspersonen austauschen können. Hilfreich ist es, Ideen für den Übergang zu besprechen. Übergänge können sehr individuell gestaltet werden und sollten sich immer den speziellen Bedürfnissen der Kinder anpassen.

Oskar (5) kann stundenlang auf Bäume klettern und seine Fantasiefiguren nachspielen. Nachts ist er sehr ängstlich. Das Licht muss immer an sein und die Stimmen der Erwachsenen beruhigen ihn. Die Pflegefamilie, die ihn aufnehmen will, kennt er bereits. Er freut sich, wenn sie ihn in der Wohngruppe besuchen. Er verbringt fröhliche Stunden mit ihnen im Wald und auf den Spielplätzen. Er hat aber Angst allein zur Pflegefamilie zu fahren. Seine Bezugsbetreuerin aus der Wohngruppe erklärt sich bereit, mit ihm gemeinsam in der Pflegefamilie einmal zu übernachten. Mit diesem Schritt fällt es Oskar leichter, Vertrauen in die neue Situation zu entwickeln.

Wenn die Pflegefamilie das Kind annehmen kann und sich stark genug fühlt, mit seinen Besonderheiten umzugehen, kann eine Pflegevereinbarung mit dem Amt für Jugend, Soziales und Asyl abgeschlossen werden. Das Pflegeverhältnis beginnt. In regelmäßigen Abständen finden Hilfeplangespräche mit allen Beteiligten statt, um zu schauen, wie sich das Kind in der Pflegefamilie entwickelt und welche Aufgaben jeder übernehmen sollte. Während des Pflegeverhältnisses werden die Pflegefamilien, das Pflegekind und die Eltern begleitet und unterstützt.


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